Klare Ablehnung von Physioswiss

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Trotz der intensiven Bestrebungen seitens Physioswiss seit 2022 Tarifverhandlungen mit den Tarifpartnern zu beginnen, haben die Krankenversicherer die Gespräche darüber verzögert. Letztlich hat dann der Bundesrat am 16. August 2023 beschlossen einzugreifen. Er hat eine Anpassung der Tarifstruktur in die Vernehmlassung geschickt. Physioswiss lehnt diesen Eingriff und die geplante neue Tarifstruktur ab. Ihre Einführung wird sich in jedem Fall negativ auf die Physiotherapie auswirken. Zurzeit analysieren wir die bundesrätlichen Vernehmlassungsunterlagen vertieft und planen entsprechende Massnahmen, um dem Eingriff entgegenzuwirken.

Physioswiss setzt sich für Tarifanpassung ein, aber auf dem Verhandlungsweg
Mitte Dezember 2022 wurden die Tarifpartner im Bereich Physiotherapie durch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) über eine geplante Anpassung der Tarifstruktur für physiotherapeutische Leistungen informiert. Darauf hat Physioswiss den angekündigten Eingriff dezidiert abgelehnt. Weiter haben wir dem BAG mitgeteilt, dass wir seit 2022 intensive Gespräche mit den Tarifpartnern betreffend Tarifverhandlungen führen. Darüber hinaus haben wir auf die vorliegende Datenerhebung (LeDa) aufmerksam gemacht, die die gesetzlich vorgeschriebene Grundlage für Verhandlungen darstellt. Sowohl santésuisse als auch curafutura haben den geplanten Eingriff hingegen begrüsst.
 
Das BAG konnte unseren Argumenten offensichtlich teilweise folgen: Es liess sich dahingehend verlauten, dass ein Eingriff in die Tarifstruktur nur dann stattfinden könne, wenn die Verhandlungen blockiert seien. Entsprechend fragte das BAG nach, ob tatsächlich verhandelt werde und verlangte eine von allen Parteien unterzeichnete Absichtserklärung sowie einen konkreten Zeitplan. 
 
Es fehlt an gutem Willen seitens der Versicherer
Die Krankenversicherer lehnten ein gemeinsames Schreiben, in dem die Aufnahme von Verhandlungen angekündigt wird, ab. Wir haben das BAG über die Sachlage informiert und nochmals festgehalten, dass Physioswiss den angekündigten Eingriff in die Tarifstruktur weiterhin ablehnen und diesen bekämpfen wird. Trotzdem hat der Bundesrat auf Betreiben des BAG am 16. August 2023 entschieden, eine Anpassung der Tarifstruktur in die Vernehmlassung zu schicken. Damit hat das BAG seine Pflichten als Aufsichtsbehörde im Krankenversicherungsgesetz (KVG) nicht wahrgenommen und sich als Spielball der Krankenversichererverbände instrumentalisieren lassen. Weiter lässt sich ein möglicher Zusammenhang zwischen der Publikation der Gesundheitskosten durch die Krankenversicherer am 15. August 2023 sowie der Vernehmlassungseröffnung durch das BAG vom 16. August 2023 interpretieren.
 
Eingriff bewirkt eine noch grössere Schieflage der Branche
Physioswiss lehnt den Tarifeingriff ausdrücklich ab. In der vorgeschlagenen Form wirkt sich dieser in jedem Fall negativ auf die bereits seit Jahren stark unterfinanzierte Physiotherapie aus. Damit wird die Branche und die Patient:innversorgung in eine noch grössere Schieflage gebracht. Mit dem aktuellen Tarif kann ein:e Physiotherapeut:in rund 60 Franken Umsatz pro Stunde generieren. Hinzu kommt, dass sich diese Situation durch die laufende Teuerung (Einkauf, Energiekosten, Miete, Löhne) verschärft. Durch den Eingriff wird diese Situation noch prekärer. Sie wird dazu führen, dass noch mehr Physiotherapeut:innen gezwungen sind, den Beruf zu wechseln, da sie nicht mehr kostendeckend arbeiten können. Das wiederum wird Auswirkungen auf die Patienten:inneversorgung haben: Die Versorgungsqualität wird schlechter.
 
Vom Nebenschauplatz zum Hauptschauplatz
Die Physiotherapie hat 3.6 Prozent der gesamten Gesundheitskosten in der Schweiz zu verantworten. Aus Sicht von Physioswiss ist dies ein geringer Anteil, der für die Prämienentwicklung faktisch nicht relevant ist. Durch den drohenden Eingriff steht nun aber die Physiotherapie im Fokus und wird zum Hauptschauplatz der Gesundheitskostendiskussionen. 
 
Weiteres Vorgehen: vertiefte Analyse und Einleitung nächster Schritte
Physioswiss analysiert zurzeit den Vernehmlassungsentwurf und erarbeitet eine Strategie, um dem Tarifeingriff entgegenzuwirken. Dazu gehört eine umfassende und abgestimmte Massnahmenplanung über die nächsten drei Monate. Wir prüfen hierzu Massnahmen, welche der Verband aber auch einzelne Mitglieder umsetzen können. Diese sollen unter anderem auch der Mobilisierung auf politischer Ebene oder von Partner-Verbänden dienen. Zudem wird zeitnah eine offizielle Stellungnahme zur Vernehmlassung seitens Physioswiss folgen.
 
Wir halten Sie auf dem Laufenden.
 

(© Bild: robertdering – AdobeStock)
 

Der Vernehmlassungsablauf – kurz erklärt
Die obligatorische Krankenversicherung wird vom Grundsatz der Tarifautonomie beherrscht: die Tarifpartner (Krankenversicherer und Leistungserbringer) legen selbstständig die Tarife in Verträgen fest, der Bundesrat genehmigt diese, sofern «sie mit dem Gesetz und dem Gebot der Wirtschaftlichkeit und Billigkeit im Einklang stehen». Dennoch ermächtigt das KVG den Bundesrat, Anpassungen an der Tarifstruktur vorzunehmen, insbesondere dann, «wenn sie sich als nicht mehr sachgerecht erweist und sich die Parteien nicht auf eine Revision einigen können».
Gestützt darauf hat der Bundesrat – wie schon in den Jahren 2016 und 2017 – den Entwurf für einen weiteren Eingriff in die Tarifstruktur für physiotherapeutische Leistungen vorgelegt. Die Vernehmlassung dauert rund drei Monate und endet am 17. November 2023. In dieser Zeit können die Kantone, die in der Bundesversammlung vertretenen Parteien, die Dachverbände der Gemeinden, Städte und Berggebiete, die Dachverbände der Wirtschaft sowie die interessierten Kreise wie Konsumentenverbände oder Organisationen aus dem Gesundheitswesen wie Leistungserbringer, Versicherer oder Patientenorganisationen Stellung zu den vorgelegten Änderungen an die Tarifstruktur nehmen. Auch wer nicht zum Vernehmlassungsverfahren eingeladen wird, kann sich zu einer Vorlage äussern.
Der Tarifeingriff wird in Form einer bundesrätlichen Verordnung vorgenommen. Nach Ablauf der Vernehmlassungsfrist wird das Eidgenössische Departement des Inneren die eingegangenen Stellungnahmen und die Reaktionen auf die vorgelegten Varianten auswerten, allfällige Änderungsvorschläge über­prüfen und die Endfassung der Tarifstruktur sowie der Erläuterungen dazu beschliessen. Dieser Schritt kann mehrere Monate in Anspruch nehmen. Während dieser Zeit findet voraussichtlich keine Vor-Information seitens des Departementes statt, so dass die Fein­umsetzung des Tarifeingriffes (Anpassungen IT-Systeme und Abläufe, Information und Schulung der Tarifpartner, Anwender und Patientinnen) erst nach dem Beschluss des Bundesrates möglich ist. Wir rechnen damit, dass die Verordnung im Verlauf des ersten Halbjahrs 2024 publiziert wird. Das ist eine sehr lange Zeit der Ungewissheit, wenn man Planungssicherheit für seine Physiotherapiepraxis im Jahr 2025 schaffen will, denn die neue Tarifstruktur soll per 1. Januar 2025 in Kraft treten.