Ein Jahr Corona-Krise im Gesundheitswesen:

Die Pandemie trifft die PhysiotherapeutInnen besonders

Als zentraler Pfeiler der Grundversorgung erbringen PhysiotherapeutInnen auch in der Pandemie täglich unverzichtbare Leistungen. Die wirtschaftliche Bilanz nach über einem Jahr Pandemie ist für die Berufsgruppe ernüchternd: Von allen Leistungserbringern im Gesundheitswesen sind sie mit Abstand am stärksten betroffen. Es braucht dringend griffige Unterstützungsmassnahmen. Nur so kann eine weitere Verschlechterung der physiotherapeutischen Versorgung verhindert werden.
 
Trotz schwieriger Umstände und teils massiver Einschränkungen ihrer Berufsausübung: Die PhysiotherapeutInnen stellen seit Pandemie-Beginn sicher, dass PatientInnen die therapeutische Unterstützung erhalten, die sie benötigen. Wirtschaftlich rechnet sich das für sie nicht. Das bestätigen die Fakten nach einem Jahr Corona-Krise.
2020 wurden weit weniger physiotherapeutische Behandlungen durchgeführt als in vergleichbaren Zeiträumen. Schon der erste Lockdown traf die Physiotherapie hart und sorgte für Umsatzeinbussen von bis zu 100%. Von Januar bis September 2020 entgingen den PhysiotherapeutInnen gegenüber dem erwarteten Volumen ca. 95 Mio. Franken Erträge und dies allein im durch die Obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) vergüteten Bereich. Bis heute sind die Auslastung und Erträge nicht auf dem Vor-Pandemie-Niveau und werden es auch noch lange nicht sein. Die seit Pandemie-Beginn erlittenen Ertragsausfälle hinterlassen grosse Lücken und das dauerhaft: Physiotherapeutische Leistungen lassen sich nicht einfach aufholen, Ertragsausfälle nicht irgendwann kompensieren.
 
«Viele unserer Mitglieder befinden sich in einer schwierigen finanziellen Lage», hält Mirjam Stauffer, Präsidentin von Physioswiss, fest. «Für viele unserer Berufsleute war es angesichts der veralteten Tarifstruktur und der nicht kostendeckenden Vergütung schon vor der Pandemie nicht möglich, Rücklagen zu bilden. Und für die meisten Praxen ist es kaum denkbar, jetzt Kredite aufzunehmen. Das Risiko einer anhaltenden Verschuldung ist schlicht zu gross.»
 
Hohe Kosten für Schutzmassnahmen
Zusätzlich zu den Ertragsausfällen und laufenden Mietkosten fällt der zeitliche und materielle Mehraufwand für Schutzvorkehrungen stark ins Gewicht. Kaum eine Berufsgruppe arbeitet so nah an ihren PatientInnen wie die PhysiotherapeutInnen, entsprechend strenge Schutzkonzepte werden in den Praxen umgesetzt. Der laufend anfallende Zusatzaufwand erfolgt indes ohne Entschädigung: Weder der zeitliche Mehraufwand (Reinigung, Desinfektion, Umstellen der Arbeitspläne, Instruktionen etc.) noch die Mehrkosten für Verbrauchsmaterial (Desinfektionsmittel, Hygienemasken etc.) sind in der Tarifstruktur der Physiotherapie abgebildet. Der Mehraufwand von durchschnittlich 14'000 Franken pro Vollzeitäquivalent und Jahr ist eine grosse Zusatzbelastung für eine Branche, in der zum Beispiel mit zwei Behandlungen pro Stunde nur knapp 100 Franken Umsatz generiert werden.
Ohne stichhaltige Begründung lehnte das Bundesamt für Gesundheit die Gewährung einer Aufwandpauschale, konkret 3.95 Franken mehr pro Behandlung, für Schutzmassnahmen bis jetzt ab. Schon heute ist klar, dass die Schutzvorkehrungen noch lange zum Praxisalltag der PhysiotherapeutInnen gehören werden. Physioswiss fordert darum eine Kurskorrektur und die Einführung einer neuen Tarifposition «Schutzmassnahmenpauschale» für die temporäre Übernahme der tatsächlich anfallenden Kosten.
 
Verschlechterung der Versorgungssituation in der Physiotherapie verhindern
 «Es braucht eine Unterstützung der PhysiotherapeutInnen zur Deckung ihres täglichen Mehraufwands für Corona-Schutzmassnahmen», so Osman Bešić, Geschäftsführer von Physioswiss. «Die kumulierte finanzielle Mehrbelastung durch die Kosten der Schutzmassnahmen und die nicht mehr aufholbaren Ertragsausfälle bei gleichzeitig hohen Geschäftsmieten ist für viele PhysiotherapeutInnen eine grosse Herausforderung.» Physioswiss fordert Bund und Kantone auf, dieser Entwicklung mit gezielten Massnahmen Gegensteuer zu geben, und langfristige Versorgungsprobleme in einem systemrelevanten Pfeiler der Grundversorgung zu verhindern.
 
Kontakt
Osman Bešić, Geschäftsführer Physioswiss
Tel. 079 / 277 84 85
 
Facts & Figures:
  • 19.7 Mio. Franken weniger bezahlte allein die CSS-Versicherung in der ersten Pandemie-Welle an Physiotherapie und Chiropraktik.
  • Hochgerechnet auf das gesamte erwartete Marktvolumen erlitt die Physiotherapie in den ersten neun Monaten 2020 somit ca. 95 Mio. Franken Ertragsausfälle und dies allein im OKP-vergüteten Bereich.
  • Im selben Zeitraum gingen die ambulanten Gesamtkosten im Vergleich zu 2019 um nur 0.5% zurück – in der Physiotherapie betrug dieser Leistungsrückgang aber -6.4% pro versicherte Person (MOKKE/BAG 2020). Die Physiotherapie ist also übermässig betroffen.
  • Bis Ende 2020 konnten die Gesamtertragsausfälle in der Physiotherapie weder im OKP-Bereich noch in den anderen Leistungsbereichen kompensiert werden.
  • Der Physiotherapie-Tarif in der OKP ist derweil seit 1998 praktisch unverändert – angesichts der Teuerung handelt es sich faktisch um eine konstante Lohnsenkung über die letzten 25 Jahre.
  • 292 Franken pro Woche und Vollzeitäquivalent betragen die ungedeckten Mehrkosten für den pandemiebedingten Mehraufwand im Durchschnitt. Hochgerechnet auf ein Jahr haben die PhysiotherapeutInnen damit schon gut 14'000 Franken Vorleistungen für Schutzmassnahmen pro Jahr und Vollzeitäquivalent getroffen, für deren Entschädigung sich niemand zuständig fühlt.
  • Die Abgeltung für Tele-Physiotherapie ist gemäss BAG-Empfehlung limitiert auf einmal pro Tag und PatientIn (22 Taxpunkte). Das ergibt durchschnittlich 23 Franken für eine reguläre Konsultation, die normalerweise ungefähr eine halbe Stunde dauert. Von den Versicherern im Bereich UVG/IV/MV wird dieselbe Leistung derweil mit 48 CHF abgegolten. Eine Ungleichbehandlung derselben Leistung, je nach Kostenträger.
  • 86% aller Praxen sind Mieter. Mietkosten machen bei fast der Hälfte von ihnen einen Viertel und mehr der Gesamtkosten aus.
  • 58.5% aller Physiotherapie-Praxen haben bis heute keinen Mietzinserlass bekommen und bezahlten die volle Miete auch während des Lockdowns, als die Berufsausübung massiv eingeschränkt war.