Smart und online – der zweite Kooperationskongress

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ÄrztInnen von Reha Schweiz und PhysiotherapeutInnen setzten sich zwei Tage hinter den Bildschirm, um neueste Erkenntnisse zu Wissenschaftlichkeit, Digitalisierung und Interprofessionalität in der Rehabilitation zu erhalten.

Der zweite Kooperationskongress von Reha Schweiz – der Schweizerischen Gesellschaft für physikalische Medizin und Rehabilitation – und Physioswiss fand am 6.-7. Mai online statt. Mehr als 40 ReferentInnen gaben ihr Wissen und ihre Erfahrungen in unterschiedlichen Veranstaltungsformaten weiter. Insgesamt waren über 300 Personen zugeschaltet, ÄrztInnen und PhysiotherapeutInnen gemischt.

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Gerd Antes, langjähriger Direktor von Cochrane Deutschland, forderte eine Rückkehr zu strenger Wissenschaftlichkeit.

«Verwerfungen im Wissensprozess»

Gerd Antes, Gründer und langjähriger Direktor von Cochrane Deutschland, machte den Auftakt zu den Referaten. Er sprach natürlich über die Erfolgsgeschichte von Cochrane – die Stiftung verfügt heute über ein Netzwerk von über 38'000 Forschenden. Insbesondere jedoch lag es Antes am Herzen, über die «Verwerfungen im Wissensprozess» zu reden.

Dazu zählt der emeritierte Professor der Universität Freiburg i. Br., dass über 50 Prozent der Studien überhaupt nicht publiziert werden. Dies generiere eine falsche Wissensbasis, Effekte würden überschätzt.

Eine weitere Fehlentwicklung liegt für Gerd Antes bei den «Räuberzeitschriften und Beuteverlagen» [1] In diesen Journals bezahlen die AutorInnen dafür, um im Open Access publiziert zu werden. Nicht wenige Verlage seien jedoch nur daran interessiert, aus dem Publikationsprozess Profit zu schlagen. Auch viele seriöse AutorInnen würden darauf hereinfallen. Der Medizinstatistiker warnt: «Die Literaturbasis wird dadurch massiv beschädigt.»
 
Ein nächster wunder Punkt ergibt sich für Antes daraus, dass heute mit «Big Data» sehr grosse Datensätze gewonnen werden können. Dabei würden die statistischen Methoden jedoch oft missachtet. Aufgrund der eindrücklichen Datenmenge, so der Freiburger Professor, werden aus Korrelationen oft Kausalitäten gemacht.
 
Notwendig sei eine strenge Wissenschaftlichkeit: «Hochwertige Evidenzgenerierung mit Systematic Reviews als Schlüsseltechnologie». Antes fordert Qualität auf allen Stufen des Studien- und Wissensprozess. Zudem brauche es einen Masterplan, welches Wissen wir benötigen.
[1] In Anlehnung an die Liste von «Predatory Journals and Publishers» nach Beall: https://beallslist.net/
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Veronika Schoeb, Leiterin Forschung an der Fachhochschule Westschweiz, betonte, dass Health Professionals mit EntwicklerInnen von Digital Health zusammenarbeiten müssen.

Digitalisierung: «Zusammenarbeit mit InformatikerInnen ist zentral»

Veronika Schoeb, Leiterin Forschung und Internationale Beziehungen an der Fachhochschule Westschweiz, sprach über Digitalisierung in der Rehabilitation. Im Januar 2021 listete «Swiss Digital Health» in der Schweiz 171 (!) Startups für 2020 auf. Die promovierte Physiotherapeutin hob vier Bereiche hervor: Tech-Health (z.B. Robotics), Trend Health (Wearables, Social Media), eHealth (EPD, Telemedizin, eMediaktion) und Data Health (Big data, Internet of things, künstliche Intelligenz).
 
Zu Tech-Health zeigte Schoeb ein Beispiel eines Therapieroboters, der hilft, einen übergewichtigen Patienten zu mobilisieren. Der Roboter kann jedoch auch zur alleinigen OSG-Mobilisation eingesetzt werden. 3D-Drucker wiederum können Hilfsmittel herstellen, zum Beispiel Handschienen. Trotz dieser erstaunlichen Fähigkeiten befürchtet Veronika Schoeb nicht, dass Roboter TherapeutInnen ersetzen werden. Health Professionals müssen in Zukunft mehr von Datenverwaltung und neuen Technologien verstehen, zentral sei jedoch die Zusammenarbeit mit InformatikerInnen. Unsere wichtige Rolle ist es, so Schoeb, den EntwicklerInnen zu sagen, welche Geräte und Anwendungen benötigt werden und was dabei relevant ist.

Interprofessionalität in der Praxis

Wie ein roter Faden zog sich das Thema Interprofessionalität durch die zwei Kongresstage. Man erhielt den Eindruck, dass die Interprofessionalität in der Praxis angekommen ist: sei es bei der Reorganisation der Teams im Paraplegiker-Zentrum Nottwil, bei der Entwicklung der Rehabilitationspflege, den AtemtherapeutInnen der Lungenliga Neuenburg oder bei erweiterten Rollen der Physiotherapie bei der endoskopischen Evaluation des Schluckvorgangs. Weitgehende Spezialisierungen führen dazu, dass Aufgaben von verschiedenen Berufsgruppen übernommen werden können. Die Physiotherapie kommt dabei nicht nur zu neuen Rollen, bei Rekrutierungsproblemen gibt sie gewisse Aufgaben auch ab.
 
Nicht vergessen ging, dass auch die gebaute Umgebung die Gesundheit und die körperliche Aktivität beeinflusst. Darüber referierte der Präventivmediziner Raphaël Bize von der Universität Lausanne. Wie zum Beispiel Treppen gestaltet sowie beleuchtet sind und wie auf sie hingewiesen wird, wirkt sich darauf aus, wie oft wir sie benutzen. 
 
Am Kooperationskongress erhielten die ZuschauerInnen zum Abschluss Einblick in einen Wettbewerb, der nur dank äusserst eingespielter Zusammenarbeit zu gewinnen ist, dem America’s Cup. Der Alinghi-Segler Christian Neidhart zeigte eindrücklich auf, was mit einer Mission, akribischer Vorbereitung, geeintem Wissen und brillantem Teamwork möglich ist. (bc)